Kirchenstatistik 2022
Evangelische Kirche: Austritte fallen nicht vom Himmel
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat angesichts zurückgehender Mitgliederzahlen deutlicher auf die Ursachen geschaut. Dazu hat sie am Dienstag (7. März) eine bereits im vergangenen Jahr vorgestellte Studie über Ausgetretene ausgeweitet. Demnach ist ein Kirchenaustritt keine spontane Entscheidung, die vom Himmel fällt, sondern das Ergebnis eines längeren Prozesses. Am Anfang steht oft eine fehlende religiöse Sozialisation in der Familie. Dabei kristallisiert sich in der Folge eine persönlich empfundene Irrelevanz von Religion im täglichen Leben heraus. Hinzu tritt durch die mangelnde Bindung an die Institution Kirche dann eine „Kosten-Nutzen-Rechnung“. Unter dem Strich steht dann am Ende oft die Entscheidung, sich die Kirchensteuer zu sparen und aus der evangelischen Kirche auszutreten. Was das konkret heißt, verdeutlichen die nun vorgelegten statistischen Zahlen.
Rund 19 Millionen Menschen bleiben evangelisch
Nach aktuellen Hochrechnungen auf Basis der vorläufigen Meldungen aus den Gliedkirchen der EKD gehörten zum Stichtag 31. Dezember 2022 rund 19,15 Millionen Menschen einer der 20 Mitgliedskirchen in der Bundesrepublik an. Das sind knapp drei Prozent weniger als im Vorjahr. Ursachen für den Rückgang waren neben den 365.000 Sterbefällen (2021: 360.000) auch die hohe Zahl von deutschlandweit vorläufig über 380.000 Kirchenaustritten (2021: 280.000). Das sind ein drittel mehr als noch im Vorjahr.
Hessen-Nassau folgt den Trends
Dieser Trend spiegelt sich auch in den hochgerechneten statistischen Zahlen der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wider. Demnach zählte die EKHN zum Stichtag 31. Dezember 2022 rund 1,36 Millionen Mitglieder. Das sind etwa drei Prozent weniger als im Vorjahr. Hier hat unter anderem eine anhaltend hohe Sterberate mit voraussichtlich 25.000 Verstorbenen (2021: 24.000) aufgrund der demographischen Entwicklung Folgen.
Austritte haben viele Ursachen
Die Zahl der Austritte belief sich einer ersten Prognose zu Folge in Hessen-Nassau zudem auf rund 30.000. Erstmals liegen damit die Austrittszahlen über der Anzahl der Verstorbenen. Die Kirchenaustritte stiegen damit um 6000 an. Die Erhöhung um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr hat ganz verschiedene Ursachen. Die aktuell ausgesprochen angespannte Konjunkturlage lässt vermehrt Menschen über einen Kirchenaustritt aus finanziellen Gründen nachdenken. Hinzu kommt ein Nachholeffekt bei den Austritten nach der Coronazeit. Schließlich werden von Ausgetretenen vereinzelt auch politische Positionen der Kirchen kritisiert wie etwa das Eintreten für Geflüchtete oder den Klimaschutz. Das Thema Missbrauch spielt – anders als in der katholischen Kirche - nur eine untergeordnete Rolle.
Kipp-Punkt in der Kirchenmitgliedschaft
Insgesamt wird aber deutlich, dass sich der seit fünf Jahrzehnten anhaltende Trend einer abnehmenden Bindung an die Kirche nun mit Macht in der Statistik niederschlägt. Tatsächlich haben sich die Austrittszahlen bezogen auf das Basisjahr 2020 fast verdreifacht. Der Soziologe Detef Pollack spricht von einem Kipp-Punkt in den Kirchen: Der Austritt droht vom Ausnahmefall nun immer öfter zum Normalfall zu werden.
Lichtblick Taufen
Ein Lichtblick sind dagegen die Taufen in der EKHN: Sie erreichen nach einer ersten Hochrechnung mit 11.300 fast wieder die Zahlen von vor der Pandemie (2019: 11.500, 2020: 5.700, 2021: 8.600). Auch die Kircheneintritte bewegen sich mit 1.700 langsam wieder aufwärts (2019: 2.800, 2020: 2000, 2021: 1.600,). Die genauen statistischen Zahlen für das vergangene Jahr - auch für die Regionen - werden dann voraussichtlich im Juli 2023 vorliegen.
Reformprojekte und Aktion #DeineTaufe
Die hessen-nassauische Kirche hat angesichts des gesellschaftlichen Wandels bereits 2018 den umfassenden Reformprozess „ekhn2030“ eingeleitet. Er will unter anderem auch die Lebenswelt Jüngerer und junger Erwachsener noch stärker in den Blick nehmen. Als einzige evangelische Landeskirche Deutschlands veranstaltet die EKHN beispielsweise schon jetzt alle zwei Jahre einen speziellen Jugendkirchentag für bis zu 4000 Teilnehmende. In diesem Jahr beteiligt sie sich zudem an der bundesweiten Aktion „#DeineTaufe“. Hier soll es unter anderem Eltern, die während der Pandemie keine Gelegenheit hatten ihr Kind taufen zu lassen, nun ganz leicht gemacht werden. In Hessen-Nassau wollen sich viele Gemeinden beispielsweise mit Tauffesten an der Aktion beteiligen, die im Juni starten soll.
Kirchenpräsident: Überzeugend leben, was wir glauben
Nach Worten von Hessen-Nassaus Kirchenpräsident Volker Jung hängt die Ausstrahlungskraft von Kirche indessen nicht allein an der Zahl der Mitglieder, die ihr formal angehören. Jung: „Als Kirche werden wir wahrgenommen, wenn wir überzeugend das leben, was wir glauben.“ Zur Wahrheit gehöre aber ebenso, dass über die Austrittszahlen nicht einfach hinweggesehen werden dürfe, so Jung. „Jeder Austritt tut weh. Wir möchten gerne auch in Zukunft für die einzelnen Menschen und die Gesellschaft da sein.“ Sinkende Mitgliederzahlen infolge von „Megatrends, denen man sich mit noch so guter Arbeit nur schwer entgegenstellen kann“ bleiben nach Ansicht Jungs zudem auch für die Mitarbeitenden in der Kirche eine Belastung. Die EKHN stelle sich den vielen Herausforderungen mit dem umfassenden Reformprojekt „ekhn2030“. Ziel ist es dabei unter anderem, noch erkennbarer mitglieder- und gemeinwesenorientiert zu arbeiten. Der Kirchenpräsident sieht in der geplanten Initiative „#DeineTaufe“ ebenfalls einen wichtigen Beitrag. Jung: „Eine Taufe berührt Menschen besonders. Sie ist die Zusage, dass Gott einem Menschen unauflöslich verbunden bleibt. Das kann gerade in unsicheren Zeiten wie jetzt trösten und stärken.“
Link-Tipps
EKD-Austrittsstudie (2022):
www.ekd.de/studie-kirchenaustritte
Statistische Zahlen der EKHN (Jahr 2021)
https://www.ekhn.de/ueber-uns/daten-fakten.html
Statistische Zahlen zur EKD:
https://www.ekd.de/statistik
Mehr zum Thema Taufe:
www.ekhn.de/taufe